Strenger Blick und tief eingegrabene Falten, wallende Bärte und schwarze Gewänder: Gut, dass man den Porträtierten nicht mehr persönlich begegnen kann! So der erste Gedanke im Musée international de la Reforme in Genf. Eine Ausstellung ist Théodore de Bèze gewidmet, um seinen 500. Geburtstag zu feiern.
Denn es ist nicht nur 500 Jahre her, dass Ulrich Zwingli seine Stelle am Grossmünster antrat. Die Genfer Reformierten schauen nun auf Théodore de Bèze. Er folgte dem Genfer Reformator Johannes Calvin nach. Und er stärkte die Stellung der Reformierten dort. Und Heinrich Bullinger festigte nach dem gewaltsamen Tod Ulrich Zwinglis die Reformation in Zürich. Auch er erscheint in der Genfer Ausstellung.
Mitreißende Prediger waren sie und zartfühlige Poeten, geschickte Diplomaten und freigebige Gastgeber. Das zeigt sich schon nach einem kurzen Eintauchen in ihr Leben.
Flüchtling und Vorsteher
Heinrich Bullinger (1504–1575) hielt als 27-Jähriger nach dem gewaltsamen Tod Zwinglis und der Niederlage der Züricher eine „donnernde Predigt“, so die Überlieferung. Daher ernannte man ihn kurz darauf zum Nachfolger. Dabei war er erst kurz zuvor nach Zürich geflohen. Aber dort war er wohl bereits kein Unbekannter mehr. 1528 hatte er Zwingli zur Berner Disputation begleitet. Daraufhin wandte sich diese Stadt der Reformation zu.
Nach Zürich brachte er seine Frau Anna – wie Katharina von Bora eine ehemalige Nonne – und bereits zwei kleine Kinder mit. Ihre glückliche Ehe galt bald überall als Vorbild. Bald schon bevölkerten elf Kinder ihr Haus. Den Zürichern fiel auf, welch ein liebevoller Vater er war. Denn er spielte gerne mit ihnen – wie sich die Nachbarn offenbar beim Blick durchs Fenster überzeugen konnten. Und er schrieb ihnen zu Weihnachten Verse.
Oder seine Gäste berichteten davon. Denn Bullingers Haushalt war ständig voller Flüchtlinge, Pfarrerkollegen und Rat- und Hilfesuchenden. Seine Gastfreundschaft war beispielhaft. So nahm Zürich viele protestantische Flüchtlinge auf.
Seine Ernennung zum Antistes, also zum geistigen Vorsteher in Zürich, knüpfte er jedoch an Bedingungen. Er ließ sich vom Rat zuvor zusichern, dass er sich „frei, ungebunden und ohne Einschränkung“ äußern könne, selbst wenn er die Obrigkeit kritisieren müsse.
Dieses Abkommen hielt. Denn sein Amt hatte Bullinger nun die gesamten 44 Jahre bis zu seinem Tod inne. Neben vielen Predigten und den Herausforderungen seiner Position verfasste er 124 Werke und hielt mit 12.000 Briefen – so haben fleißige Seelen gezählt – Kontakte in alle Welt. Obwohl er die Schweiz seit 1531 nicht mehr verließ, war er so hervorragend informiert.
Selbst schwer krank, verlor Bullinger 1565 bei einer Pestwelle seine Frau sowie drei seiner Töchter. Seine älteste Tochter hatte bereits 1549 den jüngsten Sohn Zwinglis geheiratet. Alle Söhne wurden Pfarrer.
Reformation statt Rente
Gleichzeitig wirkte Heinrich Bullinger intensiv auf den jüngeren Théodore de Bèze (1519–1605). Eines seiner Traktate löste neben dem Einfluss des humanistischen Mentors Melchior Wolmar die Hinwendung des jungen Adligen zum reformierten Glauben aus. So erklärt es die Genfer Ausstellung. Nach dem Jurastudium zog er mit 20 Jahren nach Paris. Rentenzahlungen aus seinem Erbe ermöglichten ihm ein sorgenfreies Leben als mondäner Dichter.
Doch bei seiner Hinwendung zur Reformation verlor er diese Einkünfte. Da brauchte es nach vielen inneren Kämpfen wiederum eine schwere Pesterkrankung, dass er 1548 zum reformierten Glauben übertrat. Zehn Jahre wirkte er als Griechisch-Dozent in Lausanne. Die Stadt lag 60 Kilometer von Genf entfernt und hatte 1536 die Reformation eingeführt. Und er schuf eine gereimte Psalmenübersetzung.
„Vier Gesichter“ sieht die Genfer Ausstellung in seiner Person vereint: Poet und Lehrer, Denker und Diplomat. Heinrich Bullinger und Johannes Calvin einigten sich 1549 über die Abendmahlslehre. Dies einte die Reformierten. Zum Vergleich: Zwischen Lutheranern und Reformierten besteht erst seit der Leuenberger Konkordie 1973 offiziell Abendmahlsgemeinschaft.
Neben seinem Dozentenleben führte Théodore de Bèze oft Delegationen an protestantische Fürsten Deutschlands an. Später stand er in engem Briefkontakt mit dem französischen König Heinrich IV. Dieser erlangte 1589 als Hugenotte den französischen Königsthron, nachdem er katholisch geworden war.
De Bèze war weitaus weniger diplomatisch, wenn es um Abweichung in den eigenen Reihen ging. So rechtfertigte er 1553 die Verurteilung von Michel Servet, die Calvin veranlasste. Die folgende Hinrichtung eines Protestanten durch Protestanten wegen Glaubensfragen war und ist hoch umstritten.
1558 zog de Bèze nach Genf. Ein historisierendes Gemälde aus dem 19. Jahrhundert, das in der Ausstellung zu sehen ist, zeigt eindeutig Johannes Calvin als Akademieleiter, Vier Professoren begleiten ihn in demütiger Pose. Doch hatte Calvin nie dies Amt inne. Schon hier geschieht eine gewisse Übertragung.
Nach Calvins Tod im Jahr 1564 gab es kein Zögern, Théodore de Bèze als dessen Nachfolger zu ernennen. Er selbst weigerte sich aber, dies Amt unbegrenzt anzunehmen. Vielmehr sollte es jährliche Bestätigungen geben. Diese erfolgten regelmäßig bis 1580. Dann zog sich de Bèze aus gesundheitlichen Gründen davon zurück. Er befasste sich auch ausführlich mit dem Widerstandsrecht gegenüber Despoten und Tyrannenmord.
1588 starb seine erste Ehefrau Claudine. Keines der Kinder hatte lange überlebt. Bald schon heiratete der 69-Jährige eine zweite Frau, die Witwe Caterina del Piano.
Nebenher verfasste er selbstredend viele Bücher und unterhielt einen riesigen Briefverkehr. Neben theologischen Werken gab er mehrmals Neuausgaben seiner Gedichte heraus. Er entschuldigte sich öffentlich für frühe erotische Gedichte und verbannte sie aus späteren Ausgaben. 1597 verbreiteten Jesuiten das Gerücht von seinem Tod, nachdem er zum Katholizismus zurückgekehrt sei. Da stand de Bèze vom Krankenbett auf und antwortete mit einem beißenden Spottgedicht.
Allerdings hatte er bei allen Ämtern und Veröffentlichungen keineswegs ausgesorgt. 1598 musste er große Teile seiner riesigen Bibliothek verkaufen, nachdem er sein Lehramt niedergelegt hatte. Ab 1600 predigte er nicht mehr. 1605 starb er nach einem so widersprüchlichen Leben. Hinter ihren gestrengen Fassaden zeigen die beiden Nachfolger spannende und bedenkenswerte Gesichtszüge.
Susanne Borée
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