Auf der Suche

Stefan Haupt
Regisseur Stefan Haupt. Foto: Borée

Vor dem Auftakt des Films über Zwingli im Gespräch mit dem Regisseur Stefan Haupt

"Gott, ich bin dein Gefäß, brauche mich oder zerbrich mich“, flehte der Kranke. Es ist eine Schlüsselszene des aktuellen Films über den Reformator Zwingli. Im Herbst 1519 hatte er sich an der Pest angesteckt.

Und: Er überlebte. 2019 ist Zwingli-Jahr – so wie vor zwei Jahren das 500. Jubiläum von Luthers Thesenanschlag im Mittelpunkt stand. Denn am 1. Januar 1519 kam der Schweizer Reformator Huldrych oder Ulrich Zwingli (1484–1531) nach Zürich. Er suchte  danach, Gottes Willen zu erfüllen – und legte die Basis für die Reformation dort.

Stefan Haupt, der Regisseur des Zwingli-Films, arbeitet in einem unscheinbaren Mietshaus in einem alternativ angehauchten Viertel unweit des Züricher Hauptbahnhofs. In der Schweiz konnte der Film bereits zahlreiche Preise gewinnen. Nun läuft er zum 31. Oktober in Deutschland an. Längst hat Stefan Haupt wieder ein neues Filmprojekt fest im Blick. Es soll eine aktuelle Zeitansage zwischen „Informationstsunamis“ und dem Rechtsruck in Europa werden, so der Regisseur. Fast ein ähnliches Thema wie beim Zwingli-Film: Wie können wir unserer Freiheit gerecht werden?

Auch „Zwingli“ ist mehr als ein historisches Protokoll. Dass die Sträßchen und Gassen im Film weniger steil sind als Zürich, das fällt schon bei einer ersten Suche nach Spuren dort auf. Tatsächlich stammen die meisten Außendrehs aus Stein am Rhein bei Schaffhausen.

Natürlich hat auch Zürich viele beschauliche Ecken und alte Gässchen – in der Schweiz gab es schließlich seit Jahrhunderten keine Zerstörungen durch Kriege mehr. Aber dann hätte das Filmteam ganze Straßenzüge für die Aufnahmen sperren müssen, „was schlicht unmöglich war“, so Haupt. Gut 20 der insgesamt 37 Drehtage arbeiteten sie  in Stein am Rhein. Das Kloster St. Georgen bot sich dort gleichzeitig als Schauplatz für Zwinglis Gegenspieler, den Bischof zu Konstanz, an.

In unübersehbarem Gegensatz zu der Pracht dort erscheint das Elend der Pestwelle im Herbst 1519. Die Kirche seiner Zeit kümmerte sich nicht mehr um ihre soziale Verantwortung, sondern zelebrierte Prunk und Prozessionen als Selbstzweck. Christliche Nachfolge, das bedeutet für Zwingli „nicht von Gott schwatzen“, sondern wie bei Dietrich Bonhoeffer verantwortlich zu handeln.

So kümmerte sich Zwingli um die Schwächsten der Gesellschaft. Auch die junge Witwe Anna Reinhart (gespielt von Sarah Sophia Meyer) fürchtete die Dämonen, die die Seele ihres verstorbenen Mannes quälen. Gleichzeitig kämpfte sie ums Überleben. Zwinglis umwälzende Gedanken ängstigten sie.

Doch er habe es nicht verdient, todkrank  alleingelassen zu bleiben. So versorgte Anna ihn im Film trotz der Ansteckungsgefahr. 1524 heirateten beide. Über weite Strecken folgt der Film nun ihrer Perspektive.

Denn Ko-Produzent Mario Krebs war 2017 für den Film „Katharina Luther“ verantwortlich. Für Stefan Haupt gibt es viele persönliche Bezüge zum Film. Als Jugendlicher sang er im Grossmünster, Zwinglis Kirche, im Chor mit. Haupts Großvater besaß eine Ferienwohnung in Zwinglis Geburtsort. „Es ist spannend, einen Film über seine Heimatstadt zu machen“, so der Regisseur.

Aber genauso hochinteressant sei die Suche danach „wo wir – gesellschaftlich, geschichtlich – eigentlich herkommen, was unsere Wurzeln sind, welche Ideen unsere Welt formen“, meint Haupt weiter. Zwingli wollte, dass die Menschen den Glauben verstehen. Daher förderte er schon früh Schulen und predigte auf Deutsch. Er übersetzte mit seinen Mitstreitern die Bibel. Sie war bereits 1529 vollendet – also drei Jahre vor der vollständigen Übersetzung Luthers: doch in der alemannisch basierten eidgenössischen Kanzleisprache, so Sprachwissenschaftler. Erst 1665 übernahm die Zürcher Bibel die kursächsische Sprache, die Luther zum Vorläufer des Hochdeutschen geformt hatte.

Vom Sympathieträger und engagierten Vorkämpfer für Gerechtigkeit und Glauben wandelt sich der Film-Zwingli zum politisch denkenden Theologen, der zur Durchsetzung der eigenen Ideale auch vor möglichen gewalttätigen Auseinandersetzungen nicht zurückschreckte. Einen Wendepunkt nimmt er im Konflikt mit den Wiedertäufern. Sie erhoben früh in Zürich den Anspruch, die Ideale Zwinglis radikaler zu deuten und fortzuführen.

Doch der Reformator lehnte dies ab. Entscheidender als theologische Begründungen erscheint im Film das politische Argument: Ohne Taufe können die Kinder nicht zu Bürgern Zürichs werden. Standesämter gab es schließlich noch nicht.

Zwingli beugte sich dem und trat nur sehr zögerlich gegen die Hinrichtung des Wiedertäufers Manz auf. Diese Episoden erzählt Regisseur Stefan Haupt im Film direkt vor der Verurteilung eines Mitstreiters Zwinglis, der in der Innerschweiz aufgegriffen und verbrannt wurde.

Es geht ihm um die Entwicklung Zwinglis anhand dieser Ereignisse. Auch wenn dies gerne ausführlicher hätte ausgespielt werden können, knüpft er so an den Lutherfilm von 2003 mit Joseph Fiennes an.

Bald schon war Zürich durch eine Allianz katholischer Kantone bedroht. Zwingli selbst versuchte den Befreiungsschlag. „Tut Tapferes“, ruft er im Film den Zürichern zu. Ist dies ein Wert an sich? Das Gefäß ist zerbrochen – zunächst nur ein Topf bei einem kleinen Missgeschick Annas im Haushalt. Im Krieg 1531 nahm Zwingli selbst als Kämpfer teil und wurde grausam ermordet.

Diese Entscheidungsschlacht zeigt der Film ganz bewusst nicht. „Wenn man es gut hätte machen wollen, wäre dies unglaublich aufwendig gewesen“, so Haupt. Und hätte den Rahmen des Filmes gesprengt, der ohnehin gut zwei Stunden dauert. Haupt ist es wichtiger, Zwinglis „Ideen wieder ins Bewusstsein zu heben, seine – und damit auch einen Teil unserer – Geschichte zu erzählen und sie einem breiten Publikum zugänglich zu machen“. Und damit die Frage: Wann schlägt Reformgeist in Erstarrung um?

Zwinglis Nachfolger Heinrich Bullinger festigte trotz der Niederlage die Reformation in Zürich. Mehr noch: Er ebnete ihren Weg hinaus in die Welt. Das letzte Wort behält aber Anna, die in Ermangelung eines Grabes ihres Mannes das zerbrochene Gefäß der Erde übergibt: „Viele wünschen sich die alten Gewissheiten zurück. Aber ich weiß, es bleibt uns nichts anderes übrig, als auf der Suche zu sein.“

                   Susanne Borée