Warum gerade jetzt? Die Frage stellte Wolfgang Huber an den Beginn seiner Lesung aus seinem neuen Bonhoeffer-Buch. Mit rund 120 Besuchern war sie in der Rothenburger Filiale der Rupprecht-Buchhandlung bis auf den letzten Platz gefüllt. Warum also brachte Huber sein geschriebenes Porträt über Dietrich Bonhoeffer gerade jetzt, zu Beginn des Jahres 2019, heraus?
„Die Antwort ist einfach: Weil sie fertig war“, antwortete der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende und Berliner Landesbischof schlicht. Sein ganzes Leben hindurch, seit seiner Pfadfinder-Zeit, habe er sich mit Dietrich Bonhoeffer beschäftigt. Der Widerstandskämpfer prägte das theologische Denken des jüngeren Huber. „Auf dem Weg zur Freiheit“, so lautete der Untertitel des Porträts. Wichtige Anregungen verdanke er für sein Leben und seiner Entwicklung dem Werk Bonhoeffers. Immer wieder habe er etwa in Predigten auf dessen Gedanken zurückgegriffen. Da ist es wenig überraschend, dass Huber die Neuausgabe der Bonhoeffer-Gesamtwerke federführend verantwortete.
Gerade ist nun in diesem Frühjahr auch die Bonhoeffer-Biografie erschienen. Auf Anregung seines damals zwölfjährigen mittleren Sohnes, wie der ehemalige Bischof augenzwinkernd verriet. „Warum schreibst du über Bonhoeffer nicht so, dass es auch Jugendliche verstehen?“, so sei der Auftrag gewesen. Nun, nicht ganz hat er sich daran gehalten. Die Biografie ist allerdings kein Jugendbuch geworden, aber ein allgemeinverständliches Porträt auf handlichen 300 Seiten.
Denn so, als Porträt, will Wolfgang Huber sie auch verstanden wissen. Aber 2019 sei auch über seine persönliche Beschäftigung hinaus ein gutes Datum, um dies zu veröffentlichen: Nächstes Jahr steht im April das Gedenken zur 75-jährigen Ermordung Bonhoeffers an. Da ist es hilfreich, so Wolfgang Huber, dass ein solches Werk nicht zum Gedenken an sich erscheint, sondern schon etwas vorher zur Vorbereitung.
Und schon war er mitten drin in dem Porträt: Er las nicht eigentlich aus den Kapiteln. Das Buch blieb aufgeschlagen, doch ohne größeres Umblättern vor ihm liegen. Nein, Huber sprach frei, aber doch in geschliffenen, druckreifen Sätzen von der Prägung Bonhoeffers und seinen wesentlichen Lebensstationen. Solch ein Leben sei „nicht vom Ende des Märtyrertodes, sondern auch vom Anfang her“ zu verstehen.
Eine Einordnung im Buch selbst zeigt: Viele Abschnitte aus dem Buch gab der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende fast wörtlich weiter. Dabei konzentrierte er sich auf die ersten, die biografischen Kapitel seines Buches. Mit gutem Grund: Er weitete im Verlauf des Werkes die tieferen theologischen Fragestellungen entlang der Hauptwerke Bonhoeffers im Gespräch mit den Herausforderungen seines Lebens aus. Kompakt brachte er Kernaussagen Bonhoeffers auf den Punkt – aber auch immer wieder in engem Zusammenhang mit den vorherrschenden theologischen Strömungen seiner Zeit.
Über den familiären Hintergrund, über prägende Lehrer näherte sich Huber den Grundüberzeugungen Bonhoeffers. Die Auslandsaufenthalte in Barcelona, London und New York bildeten ebenfalls wichtige Elemente, die Dietrich Bonhoeffer in den Widerstand führten. Eindrücklich zogen die Erzählungen Hubers hier die Zuhörer in den Bann. Bonhoeffer war schon vor 1933 Teil der ökumenischen Friedensbewegung. Er träumte davon, Mahatma Gandhi zu treffen. „Stattdessen machte er bald seinen eigenen Ashram auf“, erklärte Huber gar ein wenig flapsig.
Der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende bezog sich auf das Predigerseminar in Finkenwald, in dem Bonhoeffer nun den Pfarrernachwuchs der Bekennenden Kirche ausbildete. Dann folgte eine eindrückliche Beschreibung des letzten Lebensjahrzehnts Bonhoeffers, seiner Entwicklung zu einer neuen „Ethik“ und „Nachfolge“. Nicht wie man sich in „schwierigen Zeiten aus der Affäre ziehe, sondern wie zukünftige Generationen leben können“, das sei die entscheidende Frage für ihn gewesen. Auch der Widerstand macht den Menschen nicht schuldlos.
Schließlich dachte Wolfgang Huber darüber nach, wie Kirche „eine Kirche für andere sein kann“. Auch dies ist eine Forderung Bonhoeffers, dass Kirche nicht um sich selbst kreist oder eine Position der Selbstverteidigung annimmt. Wenn sie nicht mehr selbstverständlich Volkskirche sein kann, dann muss sie Missionskirche oder diakonische Kirche sein. Auch das ziele auf eine Änderung der Verhältnisse in der Welt.
Die Kirche stellte Wolfgang Huber als das Lebensthema Dietrich Bonhoeffers heraus. Wie kann sie die Herausforderungen ihrer Zeit und der Welt aufnehmen? Und wie können Gemeinden Gemeinschaft bieten? Schon als Student stieß der junge Theologe in den 1920er Jahren auf die Chancen der Ökumene, die damals wenig beachtet war. Und: Welche Verantwortung hat Kirche für die Unterdrückten?
Diesen ganzen Überblick über sein Porträt gestaltete Wolfgang Huber in verdichteter, aber auch sehr unterhaltsamer Form in anderthalb Stunden. Abschließend wurde er wieder persönlich: Als Berliner Bischof habe er eine Bonhoeffer-Büste in seinem Büro gehabt. Und sie so aufgestellt, dass sie ihm nicht über die Schulter geblickt, sondern direkt angeschaut habe.
Die anschließende halbstündige Fragerunde machte deutlich, wie sehr ihm die Zuhörer in seinen Gedanken gefolgt waren. Schon dieser Abend machte neugierig darauf, sich einmal wieder vertieft mit der Gedankenwelt Dietrich Bonhoeffers zu beschäftigen. Ausgehend von dem biografischen Porträt schlug Wolfgang Huber faszinierende Schneisen in den theologischen Ansatz „des protestantischen Heiligen“ Bonhoeffer. Denn ein „Vorbild im Glauben“ sei der Widerstandskämpfer auf jeden Fall. In diesem Sinne hatte Huber auch schon vor Jahren diese Bezeichnung verwandt.
Bonhoeffers Haltung sei keinem „prinzipiellen Pazifismus“ entsprungen, der um der Gewaltlosigkeit willen den Gewalttäter gewähren lässt. In manchen Grenzsituationen – wie dem Dritten Reich – sei das Unrecht nur durch Gegengewalt zu stoppen. Dies sieht Huber etwa auch im Eintreten gegen den „Islamischen Staat“ gegeben. Ökumenisches Eintreten gegen Krieg und Gewalt werde heute zur Pflicht. Insofern legte der 76-jährige Ex-EKD-Ratsvorsitzende auch eine Bilanz seines theologischen und ethischen Denkens vor. Gerade jetzt ist eine gute Zeit, sich erneut mit Dietrich Bonhoeffer zu beschäftigen – es ist wohl nie zu früh oder zu spät.Wolfgang Huber: Dietrich Bonhoeffer – Auf dem Weg zur Freiheit. Ein Porträt. Verlag C. H. Beck 2019,336 Seiten, 26,95 Euro, ISBN 978-3-406-73137-2.
Susanne Borée
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