Greif schwebt über vergänglicher Pracht

Margiana
Figurine. Staatliches Museum Turkmenistans und Mu­seum der Bildenden Künste Turkmenistans. Ende 3. bis Mitte des 2. Jtd. v. Chr.

Mächtiges Reich Margiana in Turkmenistan versank schon vor Urzeiten im Wüstensand

Abraham hätte schon vorbeikommen können. Ja, hätte der Erzvater Israels nur einen Umweg auf seinem Zug von Ur nach Kanäa gemacht, dann stünde das „Geheimnisvolle Königreich Margiana“ schon in der Erzvätererzählung des Alten Testaments. Doch bereits damals waren die besten Zeiten dieses Reiches längst vorbei. Die Abraham-Geschichten werden traditionell zu Beginn des 2. Jahrtausends vor Christus angesetzt.

Besser belegt ist allerdings das Königreich Margiana. Es entstand an uralten Handelsstraßen zwischen dem Zweistromland und der frühen Kultur im nordwestindischen Industal. In beide Richtungen weisen ausgegrabene Objekte. Aus Indien stammt wohl Elfenbein, Lapislazuli aus Ost-Afghanistan, Erze aus dem heutigen Iran. Erzeugnisse aus Margiana wiederum wanderten nach Norden Richtung Sibirien.

Vom Zweistromland aus sind es mehr als 2.000 Kilometer Luftlinie gen Osten. Und ins Industal fast ebenso viel, dazu noch über die Berge des Hinduskusch. Dennoch erlebte vor mehr als 4.000 Jahren das Reich im heutigen Turkmenistan seine Blütezeit. Gonur Depe (Grauer Berg) erscheint als Hauptstadt Margianas. Diese wiederum gehört zur bronzezeitlichen Oxus-Kultur. Ungefähr zwischen 2.350 und 1.750 vor Christus liegt die Blüte der Stadt. Die Augen der Karawanenführer und Kamele liefen über beim Anblick der prachtvollen Paläste und Kanäle. Endlich Wasser nach so viel Sand und Stein!

Mit zusammensteckbaren Tonröhren schufen die Einwohner Gonur Depes aufwändige Bewässerungsanlagen. Sie leiteten Wasser vom nahen Fluss Murgab in die Stadt. Dieser fließt aus den Bergen Afghanistans Richtung Westen, erreicht jedoch kein Meer, sondern versickert im Wüstensand.

Davor nutzten die Menschen der Bronzezeit das kostbare Nass nicht nur für die Versorgung des Handelszentrums. Nein, es ermöglichte den Ackerbau von Weizen und Gerste, Obstanbau von Äpfeln, Birnen, Pflaumen und sogar Wein sowie Viehzucht. Pferde, Esel oder Hunde waren sorgfältig bestattet. Tonfiguren zeigen Greifvögel, Schafe, Kamele – oder auch Mischwesen.  Ein Wagen mit massiven, klobigen Rädern kam zutage: Allerdings erscheint über Berge und durch Wüsten der Warentransport durch Tragtiere wohl schneller und leichter.

Da, ein greller Schrei! Erschreckt hob der Führer der ankommenden Karawane den Kopf: Ein Greif zog über ihnen seine Kreise. Auch in der Mythologie Margianas bekämpfen die Greife Eber, Schlangen und Drachen. An der Spitze der überirdischen Hierarchie steht aber eine Fruchtbarkeitsgöttin. Sie beherrscht gar den zerstörerischen Drachen.

Auch viel später beim Propheten Hesekiel, deutlich geprägt durch östlich-babylonische Vorstellungen, steht der Adler für Schnelligkeit und Kraft. Nichts kann seinem Sturzflug standhalten. Mit Cherub, Mensch und Löwe trägt er den Thronwagen Gottes (Kapitel 10), dessen Räder als Machtsymbol erscheinen und ebenfalls wohl keine Funktion haben.

Doch schon aus der Kunst Gonur Depes lassen sich viele mythologische Bezüge ablesen – vor allem aus den Siegeln. Sie definieren uralte Besitzverhältnisse. Das Mein und Dein war auch damals offenbar äußerst wichtig. Jeder Eigentümer von Waren kennzeichnete sie durch ausgefeilte Darstellungen von Fabelwesen, Tieren oder Pflanzen. Leider hat Margiana keine Schrift entwickelt, obwohl es schon im Zweistromland die Keilschrift gab. So lässt sich nur durch die Bilder auf die Gedankenwelt der Bewohner schließen. 

Gonur Depe war 28 Hektar groß. Das entspricht einem Quadrat mit je 529 Metern Seitenlänge oder einem Rechteck mit 700 mal 400 Metern Seitenlänge. Die Stadt war von gewaltigen Mauern umschlossen. Es gab Wohngebiete und Handwerkerviertel. Ebenso stießen die Entdecker auf ausgedehnte Friedhöfe. Mehr als 5.000 Gräber ließen sich entdecken. Nicht nur die Kunstwerke verweisen auf weiträumige Beziehungen. Auch viele Skelette weisen Merkmale von Menschen aus dem Industal oder dem Zweistromland auf.

Das Herzstück der Stadt bildete ein quadratisches Palastareal. In den so genannten „Königsgräbern“ ließen sich die verstorbenen Würdenträgerinnen in prunkvollen Grabhäusern mit feinen Mosaiken zur letzten Ruhe betten. Denn in den reichsten Gräbern lagen Frauen. Es gab Spiegel und vielfältige Kosmetikartikel. Sie erhielten für das Jenseits reich verzierten Schmuck, Waffen, Ritualgeräte sowie prachtvolle Gefäße aus Silber und Gold. Erst 1972 begannen Ausgrabungen. Nach der Unabhängigkeit Turkmenistans engagiert sich dort seit 2010 die Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts trotz der Diktatur.

Machtsymbole wie Steinstäbe mit Metallköpfen in Spiral- oder Mohnform, oft sorgfältig geschmückte Zeremonialäxte oder Miniatursäulen fanden sich. Ihr Nutzen oder ihre Bedeutung lässt sich allerdings nur indirekt erschließen. Umwerfende Objekte – aber in der Schau wären ein wenig mehr kulturelle Bezüge oder Inszenierungen kein Schaden gewesen.

Und dann war alles vorbei! Die Schreie des Greifen verhallten ungehört. Den stolzen Ort bedeckte Sand. Schnell oder nach langem Leiden? Das ist nicht dokumentiert. Die Bewässerungskanäle verfielen. Die Stadt versank im Windschatten der Geschichte. Spätere Handelsrouten ließen den Knotenpunkt links liegen. Ein letzter Nachhall der Ruinen findet sich – vielleicht – in den Gerichtsworten Hesekiels über Jerusalem. Abraham war nie so weit nach Osten gekommen. König Salomo konnte um 950 v. Chr. seine Fühler nicht mehr dorthin ausstrecken, Hesekiel 350 Jahre später noch weniger – Gonur Depe war schon längst vergessen.  

Die Sonderausstellung „Margiana“ mit fast 250 Exponaten ist bis 16. Juni in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, D5, Di bis So von 11 bis 18 Uhr zu sehen. Die Funde sind kombiniert mit Fotografien von Herlinde Koelbl. Gleichnamiger Ausstellungskatalog unter ISBN 978-3-7319-0662-9, 288 Seiten, für 39,95 Euro.

Mehr unter https://www.rem-mannheim.de/ausstellungen/margiana/ausstellung/

                     Susanne Borée