Für ein ganzes Wochenende verwandelte sich das kleine Ortenburg bei Passau fast in ein europäisches Drehkreuz. Zahlreiche kirchliche Vertreter der evangelisch-lutherischen Kirche in Ungarn waren nach Ostbayern gekommen. Aus München erreichte Oberkichenrat Michael Martin die Donau. Wolfgang Layh vom Gustav-Adolf-Werk Bayern war da. Er erinnerte an das Beispiel Elisabeths, einer ungarischen Prinzessin, die in Thüringen und Marburg ein heiligmäßiges Leben führte. Grußworte hielten ebenso politische Vertreter wie der Passauer Landrat Wolfgang Meyer, der Ortenburger Bürgermeister Stefan Lang oder der Domkapitular Manfred Ertl.
Etwa drei Prozent der Bevölkerung in Ungarn gehören der lutherischen Kirche an. Täglich besuchen 17.000 Kinder die kirchlichen Schulen. Beispielhaft ist die Arbeit mit Menschen mit Behinderung. Hinzu kommt ein lebendiges gemeindliches und kirchenmusikalisches Leben in der lutherischen Kirche in Ungarn. Mit der Fastenaktion soll diese Arbeit gestärkt werden. Unterstützt wird eine Jugendmusikschule in Fót. In einem integrativen Gartenbauprojekt werden Menschen mit Behinderung Gemüse anbauen und verkaufen. Und schließlich wird eine vom Pilz angegriffene Holzkirche in Piliscsaba erneuert.
Über den eigenen Kirchturm hinauszublicken, dazu forderte Michael Martin auf: „Ich entdecke, dass jenseits meiner Kirchenmauer das Leben unter Umständen ganz anders aussieht, als bei mir. Ich sehe Menschen mit ihren Hoffnungen und ihren Ängsten, mit ihrer Not und ihrer Freude, mit ihren Antworten und Fragen.“ Der christliche Glaube habe die Kraft Unterschiedliches zu verbinden. In Europa soll „ein sichtbares und lebendiges Zeichen der Solidarität und des Miteinanders“ gesetzt sein.
Deswegen war die Eröffnung im Dekanat Passau auch bewusst im kleinen Ortenburg geschehen, erklärte der zuständige Passauer Dekan Wolfgang Bub im Gespräch mit dem Sonntagsblatt. Denn die Gemeinde dort pflege intensive Kontakte nach Ungarn. Es hätte sich dort eine alte evangelische Gemeinde in der katholischen Umgebung kurz vor dem Habsburgerreich erhalten.
Viele Glaubensflüchtlinge haben sie bereichert. Und eine evangelische Realschule, entstanden aus einer einstigen „Konfirmandenanstalt“, in der evangelische Jugendliche aus der niederbayerischen Diaspora im Internat Glaubensstärkung erhielten. Auch dort gibt es intensive Verbindung Richtung Osten. Schulvertreter wurden an diesem Wochenende zu einem Gegenbesuch nach Ungarn eingeladen.
Bereichernd und beeindruckend waren für den Dekan die intensiven Begegnungen an dem Eröffnungswochenende: Deutsche seien nicht so hochnäsig wie oft im Osten empfunden – und Ungarn nicht nur alle Nationalisten. Das sei in den Gesprächen und Erzählungen eindrücklich gewesen.
Das Bild einer „Grenzüberschreitung“ gebrauchte auch Sandra Schuhmann aus dem Vorstand des Diakonischen Werkes Bayern. „Kirche und Diakonie haben ein von der politischen Landschaft abweichendes Verständnis von Europa. Wir wollen ein Europa, das Menschen und ihre Lebenslagen in den Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns stellt.“ Gegen Brexit und nationale Interessen in der EU soll ein Brückenschlag geschehen – und zwar bewusst über Ostern hinaus.
Der ungarische Bischof Péter Kondor predigte zur Eröffnung gegen lähmende Angst: „Und das ist das größere Problem, wenn man nicht vor etwas Angst hat, sondern überhaupt Angst hat! Gegenstandlose Angst und Bangen besitzt den Menschen. Dieses quälende Angstgefühl kann nur von einer Sache überwunden werden: das Gefühl der Geborgenheit und der Obhut.“
Denn Gott habe diese Verlorenheit der Menschen durch Jesus überwunden: „Nicht irgendwo an der Grenze des Lebens, sondern im Zentrum dessen! Gott ist keine Zugabe zum Weltgeschehen, zur Wirklichkeit, sondern ist deren Kehrseite. Deswegen hat das Leben auch einen Sinn! Wie auch die Geschichte! In allem, was geschieht wohnt Gott inne!“ Auch wir Menschen können empathisch verbunden sein. „Wenn ich jemanden sehe, der leidet, kämpft, ermüdet ist, trete ich aus Liebe zu ihm zu und leide mit ihm und ertrage mit ihm gemeinsam was auf uns zukommt. Ich fühle mit dem anderen mit, bin empathisch, versetze mich in seine Situation, in sein Schicksal.“
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Susanne Borée
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